Die eheliche Treue im Scheidungsverfahren

In einem rezenten Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 16.09.2020  zu 6 Ob 98/20k wird die eheliche Treue im Laufe des Scheidungsverfahrens thematisiert. Zum besseren Verständnis wird der Sachverhalt kurz skizziert: Der Ehemann litt an Depressionen, woraufhin die Ehegattin unpassende, verletzende Aussagen tätigte und der Ehegatte daher im Anschluss mit Einverständnis der Frau auszog. Als sich der Zustand des Ehemannes gebessert hatte, bat die Ehefrau ihn zurückzukommen, was dieser verweigerte. Schließlich fing die Ehefrau eine Beziehung mit einem weiteren Mann an.

Es ist daher offensichtlich, dass beide relevante Eheverfehlungen begangen haben, da die Frau durch ihre Äußerungen die Pflicht zur anständigen Begegnung verletzte und der Mann durch die Weigerung wieder eine gemeinsame Ehewohnung zu beziehen ebenso eine Eheverfehlung  setzte.

Das Erst- und das Berufungsgericht vertraten die Auffassung, dass die objektive Zerrüttung der Ehe bereits vor der außerehelichen Beziehung der Ehegattin eingetreten sei und dass beide Parteien nicht davon ausgehen konnten, dass eine Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft möglich sein würde. Der oberste Gerichtshof hingegen sieht solche Causen differenzierter, da dieser der Überzeugung ist, dass ein Ehebruch nach Eintreten der Zerrüttung nicht schlechthin unbeachtlich sei, da eine bereits existierende Zerrüttung dadurch verschlimmert werden könne. Dies sei eine Einzelfallentscheidung, weshalb stets auf den individuellen Sachverhalt abgestellt werden müsste.

Als problematisch wurde im vorliegenden Fall die klar geäußerte Abneigung des Ehegatten gegenüber eines hypothetischen Partners der Ehefrau bezeichnet, da dadurch wohl eine Annäherungsabsicht des Ehegatten gegenüber der Ehegattin gesehen werden kann und somit keine unheilbare Zerrüttung erfolgt war. Entgegen des Erst- und Berufungsgerichtes war der OGH schließlich der Ansicht, dass der Ehebruch als weitere Eheverfehlung zu berücksichtigen sei und daher zur Zerrüttung beigetragen hatte. Daher wurde das anfänglich dem Ehemann zugeschriebene Verschulden zu einem gleichteiligen Verschulden beider Parteien.

Abschließend kann daher festgehalten werden, dass der Oberste Gerichtshof hier stets Einzelfallentscheidungen trifft, da so individuell unterschiedliche Situationen vorliegen können, dass eine pauschale Lösung nicht allen gerecht werden könnte. Prinzipiell sollte man es vor vollendeter Scheidung aber vermeiden ein Verhalten an den Tag zu legen, welches als Eheverfehlung aufgefasst werden könnte, da dieserart immer ein wenig die Gefahr besteht, dass trotz zerrüttender Eheverfehlung der anderen Partei, das Verschulden beiden Parteien angelastet wird, was immense (zB. Unterhaltsrechtliche) Auswirkungen bedeuten würde.